All that Breathes

US 2022  87 Min. OmU
Hindi mit englischen Untertiteln

ein Film von Shaunak Sen
Schnitt: Charlotte Munch Bengtsen
Kamera: Benjamin Bernhard, Riju Das, Saumyananda Sahi
Musik: Roger Goula

12.2.2023  15:00 Uhr & 13.2.2023  18:00 Uhr im fsk Kino [Tickets]

Wer in Teilen Neu-Delhis lange genug nach oben schaut, wird ziemlich sicher einen Vogel  vom Himmel fallen sehen – verursacht durch die unglaubliche Luftverschmutzung der Stadt. Die Brüder Nadeem und Saud fertigen in ihrer Werkstatt eigentlich Seifenspender, aber lange schon kümmern sie sich hingebungsvoll um diese Tiere, und ihr provisorisches Vogelhospital nimmt immer mehr Raum und Zeit ein. Verletzte Greifvögel, vor allem Schwarzmilane, werden ihnen täglich zum Verarzten und Aufpäppeln gebracht.  
Der Film porträtiert die außergewöhnliche Werkstatt und fängt zudem in eindruckvollen Bildern all das ein, was in dieser Stadt – trotz allem –   noch immer atmet. Allerdings geht der Film noch weiter. Als den Brüdern einst der erste Vogel vor die Füße fiel, brachten sie ihn zur Tierklinik, wo er als nicht-Vegetarier nicht behandelt wurde. Der Hinduismus hat halt seine eigenen Gesetze. Als Muslime können sie sich die beiden über dieses Vebot hinwegsetzen, aber der eigenen, aktuellen religionsbegründeten Diskriminierung können sie nicht entgehen.
Das ungeachtet der Themen überraschend poetische Werk mit dem eigenwilligen Soundtrack wurde sowohl am Sundance Film Festival als auch in Cannes mit dem  Hauptpreis als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet.

„… Ich bin sehr daran interessiert, alltägliche, banale Phänomene, die normalerweise am Rande unseres Blickfelds liegen, einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen. In diesem Film möchte ich die Faszination des Himmels nutzbar machen. Ich möchte, dass die Zuschauer den Kinosaal verlassen und instinktiv nach oben blicken – dass sie den Himmel und die Vögel darin als neuartige, wundervoll fremde Dinge betrachten.
Mein Interesse für das „Mehr-als-Menschliche“ (wie es in der geografischen Terminologie genannt wird) begann während eines Stipendiums an der Universität Cambridge im Jahr 2018 im Rahmen eines Forschungsprojekts namens „Urban Ecologies“. Ich entwwickelte ein tiefes Interesse an den Veränderungen im Verhalten und in der Evolution bei Tieren in Delhi, die durch die Luftverschmutzung ausgelöst werden. Damit verbunden war ein Gefühl des Unbehagens, das viele von uns angesichts der eskalierenden sozialen Spannungen in Indien empfanden. Die intensive Beschäftigung mit der Figur des Schwarzmilans eröffnete nicht nur die ökologischen, sondern auch die drängendsten soziopolitischen Dramen unserer Zeit.
Ich bin nicht daran interessiert, ein konventionelles ‚Natur‘-Programm oder eine ‚Wildlife‘-Dokumentation zu machen. Mein Fokus ist weder auf das Leben der menschlichen noch der vogelkundlichen Protagonisten beschränkt.
Die Stadt selbst – mit den vielen Mensch-Tier-Begegnungen – bekommt in dem Film einen Charakter. In den letzten Monaten fühlten sich Nadeem und Saud nicht nur durch die Umweltkatastrophe in Delhi bedrängt. Die Familie erlebt die seismischen ökologischen und  politischen Ereignisse um sie herum, und auch die Beziehung zu ihrer Arbeit gerät unter starken Stress.
Der Film zeigt viele dieser Veränderungen auf der Makroebene, und durch intime Details, wie die  Familie sie verarbeitet und reagiert. Manchmal durch Beklemmung oder instinktiver Angst, manchmal mit ironischem Humor, gelegentlich mit hässlichen Streitereien untereinander, aber meistens mit ruhigem Mut.“
– Shaunak Sen